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  • AutorenbildArianna Bisaz

Redox als Regulator der Pflanzenernährung

Aktualisiert: 15. März 2021

Dieser Blogbeitrag ist ein Auszug. Hier geht es zum vollständigen Artikel (PDF).


Zeit, nochmals unsere vom Agronomen und Forscher Olivier Husson entwickelte Redox-Brille aufzusetzen. Und diesmal genauer unter die Lupe zu nehmen, wie der Redox-Wert die Ernährung unserer Kulturpflanzen beeinflusst.


Von meinem letzten Blogpost wissen wir Bescheid: Im Boden finden gewaltige Elektronen- und Protonenverschiebungen statt, welche wir als Eh/pH-Werte bzw. Redox-Prozesse kennengelernt haben. Je nach Redox-Bedingungen werden Nährstoffe oxidiert oder reduziert – dadurch sind sie manchmal pflanzenverfügbar und manchmal nicht. Auch haben wir bereits erfahren, dass du als Landwirt der wichtigste Faktor bist, der einen optimalen Rahmen für die Pflanze bereitstellen kann - und zwar, indem du die Redox-Werte mit Massnahmen der regenerativen Landwirtschaft lenkst und optimierst. Lass uns in diesem Blogpost nun auf den Hauptnährstoff unserer Pflanzen, den Stickstoff, eingehen und diesen durch unsere Linse betrachten.


Das Redox-Diktat


Sowohl die Stickstoffverbindungen Nitrat (NO3-) als auch Ammonium (NH4+) können von den Pflanzen direkt aufgenommen werden (ebenso wie Harnstoff und Aminosäuren, auf welche wir hier aber nicht näher eingehen). Ob Nitrat oder Ammonium im Boden vorherrscht, ist eindeutig eine Frage der Eh/pH-Verhältnisse im Boden, wie es das Pourbaix-Diagramm unten ersichtlich macht. Demnach dominieren unter oxidierten Bedingungen das Nitrat, unter reduzierten und mässig oxidierten Bedingungen und bei einem pH-Wert unter 9,2 das Ammonium.


Pourbaix-Diagramm von Stickstoff. Die Eh/pH-Werte diktieren die Stabilitätsbereiche von Nitrat NO3, Ammonium NH4 sowie der salpetrigen Säure HNO2, Nitrit NO2 und Ammoniak NH3. Quelle: Husson (2015).


Stickstoff in Form von Ammonium oder Nitrat macht bekannterweise den grössten Futteranteil der Pflanzennahrung aus, nämlich ganze 80% aller von den Pflanzen aufgenommen Ionen. Eine zu einseitige Diät mit der einen oder anderen Form von Stickstoff wirkt sich problematisch auf die Boden- und Pflanzengesundheit aus. Und zwar beeinträchtigt sie ganz massiv die Lebensprozesse der Pflanze, was sich direkt auf die Eh/pH-Werte im Wurzelbereich und damit wiederum auf die Verfügbarkeit der anderen Ionen und Nährstoffe auswirkt.


Auswirkungen von einseitiger Nitrat- oder Ammoniumaufnahme


Folgende Prozesse spielen sich bei einer einseitigen Nitrat- bzw. Ammoniumaufnahme in der Pflanze und in ihrer Wurzelumgebung ab:

  • Energieverbrauch der Pflanze: Die Pflanze verbraucht aufgrund der elektrischen Ladung der Wurzelspitze und der Stickstoff-Ionen 10 bis 15% mehr Energie, wenn sie Nitrat anstatt Ammonium aufnimmt. Auch verpufft sie circa 15% mehr Energie bei der stickstoffbasierten Herstellung von Eiweissen, da die Assimilation von Nitrat mehr Reduktionsschritte verlangt als jene von Ammonium. Andererseits muss sie mehr Energie zur Erkundung von Ammonium aufwenden, da es im Gegensatz zu Nitrat nicht wasserlöslich und daher auch nicht mobil ist.

  • Mangelerscheinungen: Ammonium ist ein Gegenspieler zu Calcium und Magnesium; eine hohe Ammoniumaufnahme hemmt die Aufnahme dieser beiden Nährstoffe und kann deshalb zu Mangelerscheinungen führen.

  • Wasserverbrauch und -gehalt der Pflanze: Eine Kultur kann bei hoher Nitratkost bis zu 50% mehr Wasser benötigen, als wenn sie sich vorwiegend von Ammonium ernährt – einerseits, weil sie es benötigt, um das Nitrat in ihren Geweben zu Ammonium zu reduzieren. Andererseits aber, weil bei hoher Nitrataufnahme auch der Nitratgehalt im Pflanzengewebe steigt und sie die Ionenkonzentration wird verdünnen müssen.

  • pH des Bodens und des Pflanzengewebes: Nitrat-Absorption lässt den pH-Wert des Bodens ansteigen – was zu einer Herausforderung werden kann, wenn der Boden bereits alkalisch ist - und jenen der Pflanze sinken. Ammonium-Absorption hingegen führt zu einem tieferen pH des Bodens – was problematisch sein kann, sofern der Boden bereits sauer ist - und einem höheren pH des Pflanzengewebes. Zu hohe Ammonium-Werte können sogar toxisch auf die Pflanze wirken.


Hier ein tabellarischer Überblick der Auswirkungen einer einseitigen Nitrat- oder Ammoniumkost:


Wenn du diese Vorgänge genauer verstehen möchtest, ist dir die Lektüre des ausführlichen Artikels empfohlen.



Wasser in Pflanzenform oder nährstoffreiche Pflanze?


Wir haben also dank unserer Redox-Brille feststellen können, dass die Wassernutzungseffizienz bei Nitrat gegenüber Ammonium drastisch gemindert wird – im Extremfall bis zu 50%. Bei trockenen Regimes oder in Regionen, die unter Wasserstress leiden, kann dies für die Kultur den definitiven Untergang bedeuten. Wenn hingegen reichlich Wasser vorhanden ist, wird die Pflanze mehr davon aufnehmen und rasch an Volumen zunehmen.


Wird dadurch die Kasse vermehrt klingeln? Ja, höheres Gewicht. Und nein, denn durch diese erhöhte Wasseraufnahme werden bei der Qualität des Erntegutes Abstriche gemacht werden müssen. Das Gewebe wird wässrig-verdünnt und quillt auf. Solche Produkte sind schlecht lagerfähig. Zudem ist der Nitratgehalt solcher Pflanzen tendenziell hoch, währenddessen der Brix-Wert im Keller ist. Der Brix-Wert misst die Dichte des Zuckergehaltes im Pflanzensaft und ist Indikator für die Pflanzengesundheit und -qualität.


Wenn du jetzt in deinem Boden nur wenig organische Substanz hast und oxidierte Verhältnisse vorherrschen, so wird es nicht helfen, einfach ammoniumhaltigen Dünger auszubringen. Wieso? Weil der oxidierte Boden das Ammonium in kürzester Zeit wieder zu Nitrat umwandeln wird (ein Phänomen, das übrigens bei vielen Nährstoffen beobachtet wird und die zuweilen niedrige Düngeeffizienz erklärt). Hingegen können regenerative Massnahmen die Nährstoffverhältnisse in relativ kurzer Zeit wieder ins Gleichgewicht bringen, wie auch im letzten Blogpost erläutert.


Olivier Husson, Agronom und Bodenforscher (https://www.youtube.com/watch?v=D7ZDh1_psLo)


Die goldene Mitte liegt im grünen Bereich


Das Thema Stickstoffaufnahme durch die Pflanze hält jetzt noch zwei beruhigende Meldungen für uns bereit: Erstens ist die Pflanze wählerisch und weiss am besten, was ihr gut tut. Meist bevorzugt sie eine «ausgewogene» Ernährung – also ein Gemisch von Nitrat und Ammonium. Und zweitens: Du als wissender und handelnder Landwirt bist der wichtigste Faktor, der einen optimalen Rahmen für die Pflanze bereitstellen kannst - und zwar, indem du die Redox-Werte gezielt steuerst und optimierst. Die wichtigsten Massnahmen dazu haben wir im letzten Blogpost schon kennengelernt.


Wann ist also der Pflanze am Ehesten freie Wahl gewährleistet in ihrer Versorgung mit den beiden Hauptformen von Bodenstickstoff? Nun, bei einem bewährten und schon fast berühmten Durchschnitts-Eh von 400-450mV und bei neutralem bis leicht saurem pH von 6.5-6.8. Warum? Weil wir in dieser sogenannt goldenen Mitte den Übergang von Nitrat zu Ammonium bzw. von Ammonium zu Nitrat finden - siehe Pourbaix-Diagramm weiter oben. Zudem ist in diesem optimalen Bereich, wie wir auch schon erfahren haben, eine hohe Verfügbarkeit aller wichtigen Pflanzennährstoffe gewährleistet, und das Risiko der Toxizität durch Schwermetalle, Metalloide, Aluminium und Eisen ist hier minimiert. In der Darstellung unten ist dieser ideale Bereich grün markiert. Weicht man von diesen Idealbedingungen ab, treten Mangelerscheinungen und/oder Toxizität auf, wie aus dem Schema herausgelesen werden kann.



Günstige Bedingungen («favourable conditions») im Boden sind im grünen Bereich bei einem Eh um 450mV und einem pH um 6,5-6,8 zu finden. In roter Schrift: Mangelerscheinungen («deficiencies») oder Toxizität («toxicity») bei supoptimalen Bedingungen. Quelle: Husson (2015)



Optimale Redox-Rahmenbedingungen sind das A und O


Wir haben durch unsere Linse gesehen, dass eine einseitige Aufnahme von Nitrat oder Ammonium sich nicht nur auf das Energieniveau, die Lebensprozesse und die Qualität der Pflanzen auswirkt. Die Form des von den Pflanzen assimilierten Stickstoffs hat durch ihren grossen Einfluss auf den Eh/pH-Wert der Rhizosphäre auch direkte Auswirkungen auf die Assimilation aller anderen Nährstoffe. Aufgrund seiner jahrzehntelangen Forschung und Erfahrung mit dieser komplizierten und volatilen Materie schlussfolgert Olivier Husson, dass wir die gesamte Pflanzenernährung allein durch die Form des Stickstoffs, welche die Pflanze im Boden vorfindet, bestimmen können.


Die Form des Stickstoffs – oxidiertes Nitrat oder reduziertes Ammonium – können wir durch die Massnahmen der regenerativen Landwirtschaft mitsteuern.


Gelangen wir in diese goldene Mitte der idealen Eh/pH-Werte, so finden wir optimale Bedingungen vor, in der alle Nährstoffe in pflanzenverfügbarer Form vorliegen und die Kultur auf höchster Effizienzstufe gedeiht.

In diesem idealen Boden herrschen günstige Bedingungen für die Entwicklung von nützlichen Bodenmikroorganismen und ungünstige Bedingungen für «Unkräuter» und Pathogene, wie wir im letzten Blog beobachtet haben.


Die Produktivität und Qualität der Pflanze ist optimiert, da die meisten Photosynthesezucker für den Stoffwechsel und das Wachstum der Pflanze samt ihrer assoziierten Mikroorganismen genutzt und nicht aufgrund Eh/pH-Gleichgewichtsstörungen ver(sch)wendet werden. Dermassen optimierte Prozesse führen zu stabilen Eh/pH-Werten. Und in einer Aufwärtspirale zu einem stabilen selbsternährenden Zusammenspiel von Boden, Pflanzen und Mikroorganismen.


Dieser Blog-Beitrag ist eine gekürzte Version dieses Artikels.


Quellen / Links


Diverse Vorträge von Olivier Husson (Französisch), zum Beispiel:




Husson Olivier, Redox potential (Eh) and pH as drivers of soil/plant/microorganism systems: a transdisciplinary overview pointing to integrative opportunities for agronomy (Husson, 2015, Englisch), https://link.springer.com/article/10.1007/s11104-012-1429-7#Sec10

Kempf John: Planzengesundheitspyramide (englisch): https://www.advancingecoag.com/plant-health-pyramid Siehe auch: www.johnkempf.com


Dietmar Näser (2020): Regenerative Landwirtschaft, Ulmer Verlag. Bestellung: buchbestellung-reg-lw@gmx.de Preis: 34,95 € (inkl. 7% MwSt.; zzgl. Versand) https://www.gruenebruecke.de/


Weiterbildung


Understanding Redox Potential. Kostenloser Online-Kurs von Olivier Husson (Englisch): https://www.academy.regen.ag/redox-potential/


Bodenkurs im Grünen von Dietmar Näser und Friedrich Wenz. Anmeldung: https://humusfarming.de/wenz-academy/bodenkurs-im-gruenen/


Einführung in die regenerative Landwirtschaft. Online-Kurs: https://kurs.regenerativ.ch/courses/einfuhrungskurs-regenerative-landwirtschaft


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