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Arianna Bisaz

Durch Redox-Steuerung zu starken Kulturen

Aktualisiert: 24. Jan. 2021

Lass uns für die Länge dieses Blogs eine scharfe wissenschaftliche Brille aufsetzen. Und zwar eine Redox-Brille, wie sie vom französischen Agronomen Olivier Husson entwickelt wurde. Lass uns nun anhand dieser Sehhilfe unsere Pflanzen und Äcker von ganz Nahem betrachten...


Bild: Olivier Husson bei einem seiner Vorträge.


Redox - Basis aller Lebensvorgänge


… Und schon finden wir uns vor einem kleinen elektrischen Stromkreis wieder – dem Stromkreis Pflanze-Boden. Wir beobachten, wie bewegliche, nicht in Molekülen gebundene Elektronen (e-) und Protonen (H+), immer wieder ihr Zuhause wechseln und dabei laufend Energie übertragen. Wir erfahren, dass dieser Elektronentransfer als Redox-Reaktion bezeichnet wird; «Red» steht für Reduktion (Elektronenaufnahme) und «Ox» für Oxidation (Elektronenabgabe). Und dass das infolge der Elektronenbewegungen entstehende elektrische Potential als Redoxpotential Eh (in Millivolt mV gemessen) bezeichnet wird. Wir begreifen, dass der Protonentransfer über die Säure-Basen-Reaktion (Versauerung = Protonenaufnahme, Alkalinisierung = Protonenabgabe) informiert und anhand des pH-Wertes gemessen wird.


Da mit der Oxidation tendenziell immer ein Rückgang des pHs Richtung Säure einher geht und mit der Reduktion eine Erhöhung desselben Richtung Base, werden Eh und pH immer gemeinsam betrachtet. Die beweglichen Elektronen und Protonen machen gerne von ihrer Bewegungsfreiheit Gebrauch und der Eh/pH-Wert ist daher eine äusserst veränderliche Grösse.


Die Redox-Brille hilft uns zu erfassen, dass die Reduktion als aufbauender Prozess zu verstehen ist, der zu einem Energiegewinn führt. Die Oxidation hingegen ist ein Abbauprozess, der zu Energieverlusten führt.


Redoxreaktionen sind für die Aufrechterhaltung aller biophysikalischen Lebensvorgänge aller lebenden Organismen unerlässlich.

Bei der Pflanze regulieren Eh/pH-Werte etwa die Nährstoffaufnahme, die Enzymproduktion, die Fortpflanzung sowie alle Interaktionen mit der Umwelt, wie beispielsweise der Umgang mit Schädlingen, Trockenheit oder Licht. So wird die Humifizierung oder die Photosynthese den reduktiven Prozessen zugeteilt; die Mineralisierung oder Alterung der Pflanze gehören zu den oxidativen Prozessen.


Dank unserem Scharfmacher erfahren wir weiter, wie sehr Pflanzen daran interessiert sind, extreme und stark schwankende Eh/pH-Werte zu vermeiden – sowohl um sie herum, als auch in ihnen selbst. Sie haben deshalb Mechanismen entwickelt, um Redox-Unpässlichkeiten im Wurzelbereich und an ihren anderen Organen entsprechend ihren Bedürfnissen zu beeinflussen. So wirken sie auf die Redox-Werte beispielsweise direkt durch Wurzelexsudate ein, oder indirekt, indem sie spezifische Mikroorganismen mobilisieren.


Bild: Simon Jöhr

Allerdings sind diesem Adaptationsvermögen Grenzen gesetzt. Verdichteter Boden zum Beispiel ist ein Pflanzen-Alptraum. Ein starker Regenguss oder eine kurze Trockenperiode und schon fallen bzw. steigen die Werte innerhalb weniger Stunden oder Tage in das eine oder andere Redox-Extrem. Die Pflanze schafft es unter solchen Umständen weder zeitlich noch energetisch, die nötigen Anpassungen an das sich verändernde Regime aufzubringen und leidet.


Unsere Sehhilfe verhilft uns also schon mal zu folgendem Praxistipp: Unsere Aufgabe als Landwirte und Gärtner besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Pflanze mit den vorherrschenden Redox-Schwankungen gut zurechtkommt oder – noch besser – in unseren Böden die richtigen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Werte möglichst stabil bleiben.

Redox und Nährstoffverfügbarkeit


Mit unserer Brille stellen wir bei genauem Hinschauen fest, dass der Eh/pH-Wert die Löslichkeit der Nährstoffe und Metalle sowie die Geschwindigkeit der Mineralisierung und Humifizierung reguliert: In oxidierten Böden wird die organische Substanz sehr schnell mineralisiert; in reduzierten Böden wird sie hingegen nicht oder kaum abgebaut. Umgekehrt bestimmt aber auch das organische Material, das dem Boden zugeführt wird, den Eh/pH-Wert mit.


Des Weiteren wird uns demonstriert, dass der Eh/pH-Wert des Bodens ein wichtiger Einflussfaktor für das Vorkommen bestimmter Mikroorganismen darstellt und diese auf bestimmte Redox-Werte angewiesen sind. Allerdings sind die Mikroorganismen auch fähig, den Eh/pH-Wert ihrer Umgebung durch ihre Populationen zu modifizieren (z.B. durch Biofilme) und können sich so teilweise selbst geeignete Redox-Kontexte schaffen. Auch hier also Wechselbeziehungen. Insbesondere Ton und Eisen sowie Schwefel, Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Nitrat und Phosphor beeinflussen die Redox-Werte, sowie natürlich die Elemente Luft und Wasser.


Es kann also festgehalten werden, dass die vorherrschende Eh/pH-Landschaft auf die organische Substanz, die Mikroorganismen, Tone, Eisen etc. wirkt und für die Verfügbarkeit der Nährstoffe eine entscheidende Rolle spielt. Umgekehrt wirken organische Substanz, Mikroorganismen, Tone, Eisen und diverse chemische Elemente sowie Luft und Wasser auf den Eh/pH-Wert ein.

Wie schon erwähnt, weisen Redox-Werte im Boden sehr hohe Variabilität auf – sowohl räumlich als auch zeitlich. Ideale Bodenbedingungen finden sich bei einem Eh um 450mV und einem neutralen bis leicht sauren pH um 6.5-6.8; die idealen Werte in der Pflanze selber liegen tiefer, bei einem Eh von rund 200-250mV und einem pH um 6.4. Diese Differenz zwischen Boden und Pflanze hält den kleinen Stromkreislauf in Gang, mit dem wir uns zu Anfangs unserer Entdeckungsreise vertraut gemacht haben.


Die Brille lässt uns dann noch auf folgenden interessanten Aspekt der Redox-Welt aufmerksam werden: Auch das Bodenaggregat - der Krümel - weist zwischen seinem Kern und äusseren Rand relativ hohe Stromdifferenzen von bis zu 200mV auf. Dadurch wird den Eh-Vorlieben der verschiedenen Mikroben Rechnung getragen und die bakterielle Nitrifikation/Denitrifikation aufrechterhalten. Das Thema Stickstoff werden wir anhand unserer Redox-Brille im nächsten Blogpost noch näher betrachten.


Dank unserer Sehhilfe lernen wir also, dass wir, um den Zustand unseres Feldes zu erkennen, nicht unbedingt Redox-Werte messen müssen.

Wir können die auf- oder abbauenden Prozesse anhand der Spatenprobe oder durch einen Blick auf unseren Pflanzenbestand indirekt erkennen (Angaben dazu z.B. im unten vermerkten Buch «Regenerative Landwirtschaft» von Dietmar Näser).


Redox und Krankheitserreger

Dank unserer Brille ist der Fall klar und erwiesen: Diverse Schädlinge weisen diverse Vorlieben auf, was die Redox-Werte des Pflanzensaftes anbelangt.



Bild: Präsentation von Olivier Husson


Aus der obigen Abbildung können diese Vorlieben abgelesen werden:

  • Pathogene Pilze (in der Abbildung «champignons», beige Felder) entwickeln sich am liebsten bei saurem pH und oxidierten Bedingungen.

  • pathogene Bakterien sowie Eipilze («bactéries», «oomycètes» violettes und hellblaues Feld) haben Präferenzen für alkalisch-neutrale und reduzierte Bedingungen (z.B. Reisfelder, Staunässe, bei starken Regenfällen).

  • Viren («virus», dunkel rosa Feld) lieben alkalisch-oxidierte Bedingungen.

  • Insekten («insectes», Bereich innerhalb der gestrichelten Linie) lieben Bedingungen, die teilweise mit denen der Pilze und Viren übereinstimmen.

Die Pfeile in der Abbildung oben informieren über die Entwicklung der Eh/pH-Werte von gesunden Jungpflanzen («jeunes plantes», grüner Pfeilansatz) zu erwachsenen Pflanzen je nach angetroffenen Bodenbedingungen:


  • Grüne Pfeile / «RA reduziert und sauer»; bei gut strukturierten Böden mit gut entwickelter Bodenbiologie. Die Pflanzen entwickeln sich gut und weisen eine hohe Vitalität und Immunität auf

  • Violette Pfleile /»RB reduziert und basisch»; bei Starkregen, kompakten Böden mit Wassersättigung. Die Pflanzen entwickeln sich unter ihrem Potential, sind geschwächt und anfällig für Eipilze und pathogene Bakterien

  • Rote Pfeile / «OA oxidiert und sauer oder OB oxidiert und basisch»; bei oxydierten Böden mit wenig organischer Substanz oder oxidierten Böden mit stark reduzierter Photosyntheseleistung wegen Toxizität, Wasserstress, extremen Temperaturen etc. Die Pflanzen entwickeln sich unter ihrem Potential, sind geschwächt und anfällig für Viren-, Pilzen- und Insektenbefall

Wie schaffen wir es nun, die Pflanzen den grünen Pfeilen entlang zu führen, wie in der obigen Abbildung dargestellt?

Mit welchen landwirtschaftlichen Praktiken können wir die physischen, chemischen und biologischen Bedingungen im Boden verbessern, dadurch den Eh-pH-Wert des Bodens und der Pflanze optimieren und folglich prophylaktisch gegen Schädlinge wirken?


Gezielte Redox-Steuerung


Dank unserer Sehhilfe erkennen wir: Reduzierend/ aufbauend (und puffernd) wirken die Photosynthese (d.h. ein ständig mit lebenden Pflanzen bedeckter Boden), angemessene Bewässerung, gute Bodenstruktur, Mulch, viel organische Substanz im Boden, eine vielfältige biologische Aktivität, Blattspritzungen mit Komposttee, Algenpulver, Lehm sowie hoher Paramagnetismus (z.B. durch Förderung von Magnetit-bildenden Bakterien oder Verwendung von mit Nährstoffen «geladener» Pflanzenkohle).

Es sind alles Praktiken, die in der regenerativen Landwirtschaft angewendet werden. Sie bauen den Boden auf und steigern die Lebensenergie der Pflanzen.

Bei konsequenter Anwendung dieser Praktiken können wir es schaffen, unsere Pflanzen in die grüne Ellipse (siehe Abbildung oben) zu bringen und zu halten.


Interessant ist, dass die Abwehrreaktion einer gesunden kraftvollen Pflanze bei Schädlingsbefall u.a. auch auf ebendiesen Bereich hinzielt: Sobald die Pflanze angegriffen wird, reduziert sie ihre Gewebe und schleudert sich in den grünen Bereich. So erreicht sie einen Zustand der gesteigerten Pflanzenimmunität.


Reduktive Praktiken, wie sie im obigen Abschnitt aufgeführt sind, unterstützen also die Pflanze, ihre eigene Immunitätsleistung zu steigern.

Es ist aber auch möglich, die Pflanze vor Schädlingsbefall zu schützen, indem diese in das stark oxidierte rosa Feld oben rechts manövriert wird und dort bei einer künstlichen Scheingesundheit gehalten wird.


Oxidierend/ abbauend wirken demnach das Pflügen, nackter Boden, Brände, Drainage, Trockenheit, Mineraldünger (alle «-ate» wie Sulfate, Nitrate, Phosphate…. sowie alle «Chlo-» wie Chloride) sowie die meisten Biozide. Es ist der Weg, den heute noch die meisten Landwirte beschreiten.

Allerdings ist damit grosser Kollateralschaden verbunden.

Krankheitserreger werden bei diesem Ansatz mit übermässiger Oxidation bekämpft – allerdings mit entsprechenden Folgen für Pflanzen- und Bodengesundheit, wie z.B. fehlender Bodenbiologie, mangelnder Bodenstruktur, verminderter Photosyntheseleistung der Pflanze etc. Dieser Weg schadet dem Boden und reduziert die Lebensenergie der Pflanzen.


Die Pflanze regiert!


Bisher findet die Redox -Thematik in der Agronomie wenig Beachtung. Olivier Husson, dem wir unsere Redox-Brille verdanken, wagt die These, dass sich Agronomen dadurch eines Schlüsselfaktors im Verständnis der Pflanzen- und Bodenkunde berauben.


Bei der Pflanzengesundheitspyramide von John Kempf ist übrigens Boden der Pyramide tendenziell oxidiert und alkalisch und die Spitze tendenziell reduziert und sauer (siehe Blogpost vom 20.10.2020). Für beide Vorreiter der regenerativen Landwirtschaft, John Kempf wie Olivier Husson, ist also glasklar:


Ein gesunder Boden ist auf gesunde Pflanzen angewiesen, die die Bodenorganismen ernähren, welche die Bodenstruktur verbessern und wiederum die Pflanzen ernähren.


Entsprechend ist ständige Bodenbedeckung mit einer Vielfalt von lebenden Pflanzen seiner Meinung nach das alleroberste und wichtigste Prinzip einer agro-ökologischen Landwirtschaft. Und die daraus resultierende Bodenstruktur der Schlüssel für einen gesunden Boden.

So wirbt Husson auch für den rudimentären Slake-Test, einem Test zur Beurteilung der Bodenstruktur. Dieser sei der mit Abstand aussagekräftigste Bodentest, da er alle wichtigen Informationen über Bodenaggregate preisgibt, welche wiederum die ganze Geschichte über die Gesundheit des Bodens erzählen.


Der ungarische Biochemiker Albert Szent-Györgyi brachte es vor einigen Jahren auf den Punkt:

Das Leben ist ein kleiner elektrischer Strom, der von der Sonne (und somit der Pflanze) aufrechterhalten wird.

Nun: Wir können unsere Sonnen- äh Redoxbrille für den Moment wieder absetzen.


Quellen / Links:


Diverse Vorträge von Olivier Husson (Französisch), zum Beispiel:





Husson Olivier, Redox potential (Eh) and pH as drivers of soil/plant/microorganism systems: a transdisciplinary overview pointing to integrative opportunities for agronomy (Husson, 2015, Englisch), https://link.springer.com/article/10.1007/s11104-012-1429-7#Sec10


Kempf John: Planzengesundheitspyramide (englisch): https://www.advancingecoag.com/plant-health-pyramid Siehe auch: www.johnkempf.com


Dietmar Näser (2020): Regenerative Landwirtschaft, Ulmer Verlag (im Buchhandel erhältlich)


Weiterbildung


Understanding Redox Potential. Kostenloser Online-Kurs von Olivier Husson (Englisch): https://www.academy.regen.ag/redox-potential/


Einführung in die regenerative Landwirtschaft. Online-Kurs: https://kurs.regenerativ.ch/courses/einfuhrungskurs-regenerative-landwirtschaft

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